Das Internet hat nicht nur unsere Wirtschaft gehörig verändert. Es hat auch Auswirkungen auf unsere demokratische Debattenkultur – sie wird nun entscheidend von Algorithmen bestimmt.
Eins ist heute schon klar. Das Internet ist disruptiv. Es verändert unser Wirtschaftssystem, unsere Kommunikation und natürlich unsere Gesellschaft. Amazon hat den Einzelhandel verändert, Paypal das Zahlungswesen. Unsere Musik kaufen wir nicht mehr im Laden, sondern streamen sie über Spotify. Uber mischt derweil die Taxibranche auf. Und natürlich beeinflusst das Netz auch unsere Demokratie.
Die politische Debattenkultur hat sich durch die neuen Möglichkeiten nicht wirklich verbessert. Die Menschen scheinen polarisierenden Postings mehr Aufmerksamkeit zu schenken als harten Fakten. Nur wenige online geführte Debatten haben etwas von einem Wettbewerb der Ideen. Sie gleichen eher einem ideologischen Stellungskrieg. Schnell werden Kommentare dabei persönlich. Ausschlaggebend sind hierfür vor allem Algorithmen, also Computer-Programm-Codes, die sowohl den Internet-Suchmaschinen (z. B. Google) als auch den sozialen Medien (Facebook, Twitter, Youtube) zugrunde liegen. Diese nehmen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Denn diese Programme entscheiden, welche Informationen wir erhalten und welche nicht. Darüber hinaus schlagen uns die Algorithmen der sozialen Netzwerke Freunde und Gruppen vor, die zu unserem bisherigen Verhalten passen.
Das Phänomen der Filterblasen ist nicht neu, Algorithmen von Suchmaschinen oder Sozialen Medien verstärken es aber.
Likt z. B. ein Nutzer die Facebook-Seite des Fußballvereins Borussia Mönchengladbach, werden ihm Personen aus seiner Nähe als Freunde vorgeschlagen, die ebenfalls Borussia-Fans sind. Außerdem werden ihm vermehrt stark diskutierte Posts zu diesem Verein eingeblendet – auch, wenn sie von Personen kommen, die er gar nicht kennt. Oder er erhält den Vorschlag, der Facebook-Gruppe des Fanclubs beizutreten. Dadurch gerät der Nutzer in eine Filterblase, in der er vor allem Themen angezeigt bekommt, die sich um diesen Verein bzw. das Thema Fußball drehen.
Das Ganze funktioniert aber auch mit Einstellungen, Parteien oder anderen politischen Gruppierungen. Was beim Fußball-Verein weniger bedenklich sein mag, kann in der politischen Filterblase durchaus problematisch werden. Je nachdem, welche Informationen die Suchmaschine Google über eine bestimmte Person bereits gesammelt hat, bekommt der Anwender unterschiedliche Ergebnisse angezeigt. Der Internet-Aktivist Eli Pariser machte die Entdeckung, „als er zwei Freunde kurz nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko das Stichwort ‘BP’ in Googles Suchleiste eingeben ließ. Der eine von ihnen erhielt Investmenttipps für die Ölbranche, der andere Meldungen zur Naturzerstörung“. Filter Bubble nannte er das Phänomen in seinem gleichnamigen Buch.
Das Phänomen dieser Filterblasen ist nicht neu. Früher haben sich die Menschen ihre Tageszeitung nach ihrer politischen Überzeugung ausgesucht. So haben – vereinfacht gesagt – bürgerliche Leser eher die Frankfurter Allgemeine bevorzugt, während linksliberale eher zur Frankfurter Rundschau griffen.
Jedoch veröffentlichen selbst politisch gefärbte Zeitungen in der Regel verschiedene Positionen. Das ist Teil des journalistischen Handwerks. Selbst an Stammtischen herrscht selten eine einhellige Meinung. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke sorgen aber dafür, dass sich zunehmend Gleichgesinnte treffen.
Seit 2016 haben etliche Journalisten den Selbstversuch gewagt. Sie haben sich auf Facebook eine zweite Identität angelegt und einige rechtsradikale Seiten gelikt. Der Effekt war immer der gleiche: Der Algorithmus empfahl ihnen weitere Seiten, Gruppen und Nutzer mit rechter Gesinnung. Sie wurden in eine Filterblase aus vermeintlich Gleichgesinnten gezogen und empfingen fortan nur noch rechte Hass-Botschaften gegen Ausländer, die Bundesregierung, die „Lügenpresse“ und Verschwörungstheorien aller Couleur.
Das Phänomen ist für unsere politische Willensbildung vor allem deshalb problematisch, weil wir eher Informationen vertrauen, die wir erwarten – das psychologische Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass Menschen Falschmeldungen z. B. über Straftaten von Migranten mehr glauben als der faktenbasierten Recherche ihrer Tageszeitung.
Lagerkampf mit Fake News
Eine Steigerung des Filterblasen-Phänomens sind die digitalen „Echokammern“. Wenn der oben beschriebene Fußball-Fan sich der Borussia-Gruppe angeschlossen hat, wird er dort wohl kaum verkünden, dass er auch Sympathien für den FC Bayern München hegt. Abweichende Meinungen werden in der Gruppe unterdrückt. Die Überzeugung, dass es nur die eine Borussia geben kann, wird dagegen von der Gruppe bestärkt. Im Extremfall kommt es zu einem Freund-Feind-Denken. Überträgt man dieses Beispiel in den politischen Raum, landet man schnell bei extremen Gruppierungen, die dadurch schrittweise den Boden unserer demokratischen Grundordnung verlassen.
Darüber hinaus kommt es immer stärker zu einer Lagerbildung innerhalb der Gesellschaft. Die philippinische Verlegerin und Publizistin Maria Ressa hat dies in einer anschaulichen Grafik dargestellt. Sie nutzte bereits im Jahr 2011 Twitter-Suchworte (sog. Hashtags) und Twitter-Nutzerprofile, um politische Ballungszentren in den sozialen Netzwerken sichtbar zu machen. Unter dem Hashtag #GOP (Grand Old Party = US-Republikaner) twitterten zwei deutlich erkennbare Lager (pro / contra). Beide Lager waren nur durch wenige Personen miteinander verbunden. In den sozialen Netzwerken war demnach bereits 2011 erkennbar, wie sich die USA in politische Lager aufzusplittern begannen, die wie in verschiedenen Welten leben.
Im US-Wahlkampf 2016 wurde dann deutlich, wie unversöhnlich sich diese Lager gegenüberstehen. Es werden keine Debatten mehr geführt. Unliebsame Fakten werden zu Fake News oder Meinung degradiert. Klimawandel? Eine Meinung. Evolutions-Theorie? Glaubenssache. Berichte, dass das Wahlkampf-Team des Präsidenten mit den Russen kooperiert hat? Fake News.
Das Auswärtige Amt kämpfte mit der Info-Seite “Rumours About Germany” gegen Fakenes in Nordafrika.
Es vergehen meist nur wenige Minuten, bis die Medien ihre Empfänger über aktuelle Geschehnisse informieren. Auch die Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen sind heute wesentlich transparenter als noch vor wenigen Jahren. Bürger sollten dank der neuen Möglichkeiten stets gut informiert sein. Stattdessen brechen sich Falschnachrichten, Gerüchte oder böswillige Diskreditierungen Bahn. Diese verbreiten sich ebenfalls in Windeseile durch das Netz und sind nur schwer wieder einzufangen.
Auch das Phänomen der Falschnachrichten ist nicht neu. Sie können in jeder Zeitung vorkommen. Allerdings gibt es im Netz einen Trend, gezielt Halbwahrheiten oder glatte Lügen zu verbreiten, um politisch Einfluss zu nehmen. Da die Algorithmen der sozialen Medien so ausgelegt sind, dass sie häufig gelesene Texte bevorzugen, verbreiten sich Sensationsnachrichten rasend schnell.
Überraschend ist, wie unkritisch viele mündige Bürger mit den Informationen umgehen, die sie über soziale Medien empfangen. Denn Facebook, Twitter & Co. haben bisher wenig Anstalten gemacht, den Wahrheitsgehalt der Behauptungen ihrer Nutzer zu überprüfen. So ist es Aufgabe eines jeden Einzelnen, die Richtigkeit einer Meldung kritisch zu hinterfragen, bevor sie weiterverbreitet wird. Hiermit sind viele Menschen natürlich überfordert. Bisher wird der richtige Umgang mit dem neuen Medium nur in sehr wenigen Schulen gelehrt.
Dass Falschinformationen eine ernsthafte Bedrohung sein können, hat sich in der Flüchtlingskrise gezeigt. Das deutsche Auswärtige Amt sah sich im Oktober 2017 gezwungen, die Info-Seite Rumours About Germany (rumoursaboutgermany.info) online zu stellen, auf der die „sieben größten Lügen der Schleuser“ aufgelistet wurden. Zuvor wurden massenhaft Falschmeldungen über die sozialen Medien gestreut. In diesen Postings wurden den potenziellen Flüchtlingen, wenn sie es bis Deutschland schaffen, ein Willkommensgeld von mehreren Tausend Euro, Immobilien-Geschenke oder lukrative Arbeitsplätze versprochen. Millionen Flüchtlinge sind den falschen Versprechungen gefolgt. Viele haben dadurch ihr Leben verloren. Und auf die, die es bis Deutschland schafften, wartete eine herbe Enttäuschung.
Die sozialen Medien sind eine Spielwiese für die Nutznießer von Desinformation: Geheimdienste, Verschwörungstheoretiker, Geschäftemacher.
Der populistische Algorithmus
Die Politik hat schnell gelernt, sich auf die neuen Techniken einzustellen. Dabei hat sie neue Player stets begünstigt, während sich die alteingesessenen Parteien schwer taten. Das liegt vor allem daran, dass das Netz zugespitzte Aussagen, ironische bis hämische Kritik an den Regierungsverantwortlichen und Tabubrüche populistischer Parteien honoriert. Denn sie erzeugen mehr Reaktionen. Denn selbst jedes gut gemeinte Gegenargument auf einen populistischen Tweet trägt zu dessen Verbreitung und Popularität bei.
Die Alternative für Deutschland (AfD) begann das Jahr 2018 gleich mit einem Tabubruch. Der AfD-Abgeordnete Jens Maier nannte den Sohn von Tennislegende Boris Becker und seiner Ex-Frau Barbara auf Twitter einen „Halbneger“. Der Deutsche Richterbund (Maier ist Richter von Beruf) erkannte darin völlig zutreffend eine „kalkulierte Provokation“. Denn mit Boris Becker ist in Deutschland höchste Aufmerksamkeit garantiert. Die Botschaft indes richtet sich ausschließlich an Maiers (potenzielle) Wähler.
Die meisten Populisten schlagen genau in diese Kerbe. Es ist eine Taktik. Die mediale Aufregung und die vielen Reaktionen tragen durch die Logik des Algorithmus zur Verbreitung des Postings bei. So erreichen sie damit auch Personen an den Rändern, die sich einen neuen Politikstil wünschen. Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte, US-Präsident Donald Trump und in Deutschland die AfD konnten ihren Wählern erfolgreich glaubhaft machen, dass sie das „verkommene politische System“ umkrempeln würden. Besonders über die sozialen Medien verfing diese Botschaft überdimensional. Auffällig ist dabei, dass sowohl die beiden Präsidenten als auch die AfD sehr gezielt in die ihnen wohlgesonnenen Echokammern vorgestoßen sind. Sie haben es geschafft, diese unzufriedenen Menschen da abzuholen, wo sie sich aufhielten, und an die Wahlurne zu bewegen.
Hier geht es zum ersten Teil der Trilogie
Hier geht es zum dritten Teil der Trilogie
Dieser Beitrag erschien zuerst in den Auslandsinformationen der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Das Internet hat nicht nur unsere Wirtschaft gehörig verändert. Es hat auch Auswirkungen auf unsere demokratische Debattenkultur – sie wird nun entscheidend von Algorithmen bestimmt.
Eins ist heute schon klar. Das Internet ist disruptiv. Es verändert unser Wirtschaftssystem, unsere Kommunikation und natürlich unsere Gesellschaft. Amazon hat den Einzelhandel verändert, Paypal das Zahlungswesen. Unsere Musik kaufen wir nicht mehr im Laden, sondern streamen sie über Spotify. Uber mischt derweil die Taxibranche auf. Und natürlich beeinflusst das Netz auch unsere Demokratie.
Die politische Debattenkultur hat sich durch die neuen Möglichkeiten nicht wirklich verbessert. Die Menschen scheinen polarisierenden Postings mehr Aufmerksamkeit zu schenken als harten Fakten. Nur wenige online geführte Debatten haben etwas von einem Wettbewerb der Ideen. Sie gleichen eher einem ideologischen Stellungskrieg. Schnell werden Kommentare dabei persönlich. Ausschlaggebend sind hierfür vor allem Algorithmen, also Computer-Programm-Codes, die sowohl den Internet-Suchmaschinen (z. B. Google) als auch den sozialen Medien (Facebook, Twitter, Youtube) zugrunde liegen. Diese nehmen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Denn diese Programme entscheiden, welche Informationen wir erhalten und welche nicht. Darüber hinaus schlagen uns die Algorithmen der sozialen Netzwerke Freunde und Gruppen vor, die zu unserem bisherigen Verhalten passen.
Das Phänomen der Filterblasen ist nicht neu, Algorithmen von Suchmaschinen oder Sozialen Medien verstärken es aber.
Likt z. B. ein Nutzer die Facebook-Seite des Fußballvereins Borussia Mönchengladbach, werden ihm Personen aus seiner Nähe als Freunde vorgeschlagen, die ebenfalls Borussia-Fans sind. Außerdem werden ihm vermehrt stark diskutierte Posts zu diesem Verein eingeblendet – auch, wenn sie von Personen kommen, die er gar nicht kennt. Oder er erhält den Vorschlag, der Facebook-Gruppe des Fanclubs beizutreten. Dadurch gerät der Nutzer in eine Filterblase, in der er vor allem Themen angezeigt bekommt, die sich um diesen Verein bzw. das Thema Fußball drehen.
Das Ganze funktioniert aber auch mit Einstellungen, Parteien oder anderen politischen Gruppierungen. Was beim Fußball-Verein weniger bedenklich sein mag, kann in der politischen Filterblase durchaus problematisch werden. Je nachdem, welche Informationen die Suchmaschine Google über eine bestimmte Person bereits gesammelt hat, bekommt der Anwender unterschiedliche Ergebnisse angezeigt. Der Internet-Aktivist Eli Pariser machte die Entdeckung, „als er zwei Freunde kurz nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko das Stichwort ‘BP’ in Googles Suchleiste eingeben ließ. Der eine von ihnen erhielt Investmenttipps für die Ölbranche, der andere Meldungen zur Naturzerstörung“. Filter Bubble nannte er das Phänomen in seinem gleichnamigen Buch.
Das Phänomen dieser Filterblasen ist nicht neu. Früher haben sich die Menschen ihre Tageszeitung nach ihrer politischen Überzeugung ausgesucht. So haben – vereinfacht gesagt – bürgerliche Leser eher die Frankfurter Allgemeine bevorzugt, während linksliberale eher zur Frankfurter Rundschau griffen.
Jedoch veröffentlichen selbst politisch gefärbte Zeitungen in der Regel verschiedene Positionen. Das ist Teil des journalistischen Handwerks. Selbst an Stammtischen herrscht selten eine einhellige Meinung. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke sorgen aber dafür, dass sich zunehmend Gleichgesinnte treffen.
Seit 2016 haben etliche Journalisten den Selbstversuch gewagt. Sie haben sich auf Facebook eine zweite Identität angelegt und einige rechtsradikale Seiten gelikt. Der Effekt war immer der gleiche: Der Algorithmus empfahl ihnen weitere Seiten, Gruppen und Nutzer mit rechter Gesinnung. Sie wurden in eine Filterblase aus vermeintlich Gleichgesinnten gezogen und empfingen fortan nur noch rechte Hass-Botschaften gegen Ausländer, die Bundesregierung, die „Lügenpresse“ und Verschwörungstheorien aller Couleur.
Das Phänomen ist für unsere politische Willensbildung vor allem deshalb problematisch, weil wir eher Informationen vertrauen, die wir erwarten – das psychologische Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass Menschen Falschmeldungen z. B. über Straftaten von Migranten mehr glauben als der faktenbasierten Recherche ihrer Tageszeitung.
Lagerkampf mit Fake News
Eine Steigerung des Filterblasen-Phänomens sind die digitalen „Echokammern“. Wenn der oben beschriebene Fußball-Fan sich der Borussia-Gruppe angeschlossen hat, wird er dort wohl kaum verkünden, dass er auch Sympathien für den FC Bayern München hegt. Abweichende Meinungen werden in der Gruppe unterdrückt. Die Überzeugung, dass es nur die eine Borussia geben kann, wird dagegen von der Gruppe bestärkt. Im Extremfall kommt es zu einem Freund-Feind-Denken. Überträgt man dieses Beispiel in den politischen Raum, landet man schnell bei extremen Gruppierungen, die dadurch schrittweise den Boden unserer demokratischen Grundordnung verlassen.
Darüber hinaus kommt es immer stärker zu einer Lagerbildung innerhalb der Gesellschaft. Die philippinische Verlegerin und Publizistin Maria Ressa hat dies in einer anschaulichen Grafik dargestellt. Sie nutzte bereits im Jahr 2011 Twitter-Suchworte (sog. Hashtags) und Twitter-Nutzerprofile, um politische Ballungszentren in den sozialen Netzwerken sichtbar zu machen. Unter dem Hashtag #GOP (Grand Old Party = US-Republikaner) twitterten zwei deutlich erkennbare Lager (pro / contra). Beide Lager waren nur durch wenige Personen miteinander verbunden. In den sozialen Netzwerken war demnach bereits 2011 erkennbar, wie sich die USA in politische Lager aufzusplittern begannen, die wie in verschiedenen Welten leben.
Im US-Wahlkampf 2016 wurde dann deutlich, wie unversöhnlich sich diese Lager gegenüberstehen. Es werden keine Debatten mehr geführt. Unliebsame Fakten werden zu Fake News oder Meinung degradiert. Klimawandel? Eine Meinung. Evolutions-Theorie? Glaubenssache. Berichte, dass das Wahlkampf-Team des Präsidenten mit den Russen kooperiert hat? Fake News.
Das Auswärtige Amt kämpfte mit der Info-Seite “Rumours About Germany” gegen Fakenes in Nordafrika.
Es vergehen meist nur wenige Minuten, bis die Medien ihre Empfänger über aktuelle Geschehnisse informieren. Auch die Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen sind heute wesentlich transparenter als noch vor wenigen Jahren. Bürger sollten dank der neuen Möglichkeiten stets gut informiert sein. Stattdessen brechen sich Falschnachrichten, Gerüchte oder böswillige Diskreditierungen Bahn. Diese verbreiten sich ebenfalls in Windeseile durch das Netz und sind nur schwer wieder einzufangen.
Auch das Phänomen der Falschnachrichten ist nicht neu. Sie können in jeder Zeitung vorkommen. Allerdings gibt es im Netz einen Trend, gezielt Halbwahrheiten oder glatte Lügen zu verbreiten, um politisch Einfluss zu nehmen. Da die Algorithmen der sozialen Medien so ausgelegt sind, dass sie häufig gelesene Texte bevorzugen, verbreiten sich Sensationsnachrichten rasend schnell.
Überraschend ist, wie unkritisch viele mündige Bürger mit den Informationen umgehen, die sie über soziale Medien empfangen. Denn Facebook, Twitter & Co. haben bisher wenig Anstalten gemacht, den Wahrheitsgehalt der Behauptungen ihrer Nutzer zu überprüfen. So ist es Aufgabe eines jeden Einzelnen, die Richtigkeit einer Meldung kritisch zu hinterfragen, bevor sie weiterverbreitet wird. Hiermit sind viele Menschen natürlich überfordert. Bisher wird der richtige Umgang mit dem neuen Medium nur in sehr wenigen Schulen gelehrt.
Dass Falschinformationen eine ernsthafte Bedrohung sein können, hat sich in der Flüchtlingskrise gezeigt. Das deutsche Auswärtige Amt sah sich im Oktober 2017 gezwungen, die Info-Seite Rumours About Germany (rumoursaboutgermany.info) online zu stellen, auf der die „sieben größten Lügen der Schleuser“ aufgelistet wurden. Zuvor wurden massenhaft Falschmeldungen über die sozialen Medien gestreut. In diesen Postings wurden den potenziellen Flüchtlingen, wenn sie es bis Deutschland schaffen, ein Willkommensgeld von mehreren Tausend Euro, Immobilien-Geschenke oder lukrative Arbeitsplätze versprochen. Millionen Flüchtlinge sind den falschen Versprechungen gefolgt. Viele haben dadurch ihr Leben verloren. Und auf die, die es bis Deutschland schafften, wartete eine herbe Enttäuschung.
Die sozialen Medien sind eine Spielwiese für die Nutznießer von Desinformation: Geheimdienste, Verschwörungstheoretiker, Geschäftemacher.
Der populistische Algorithmus
Die Politik hat schnell gelernt, sich auf die neuen Techniken einzustellen. Dabei hat sie neue Player stets begünstigt, während sich die alteingesessenen Parteien schwer taten. Das liegt vor allem daran, dass das Netz zugespitzte Aussagen, ironische bis hämische Kritik an den Regierungsverantwortlichen und Tabubrüche populistischer Parteien honoriert. Denn sie erzeugen mehr Reaktionen. Denn selbst jedes gut gemeinte Gegenargument auf einen populistischen Tweet trägt zu dessen Verbreitung und Popularität bei.
Die Alternative für Deutschland (AfD) begann das Jahr 2018 gleich mit einem Tabubruch. Der AfD-Abgeordnete Jens Maier nannte den Sohn von Tennislegende Boris Becker und seiner Ex-Frau Barbara auf Twitter einen „Halbneger“. Der Deutsche Richterbund (Maier ist Richter von Beruf) erkannte darin völlig zutreffend eine „kalkulierte Provokation“. Denn mit Boris Becker ist in Deutschland höchste Aufmerksamkeit garantiert. Die Botschaft indes richtet sich ausschließlich an Maiers (potenzielle) Wähler.
Die meisten Populisten schlagen genau in diese Kerbe. Es ist eine Taktik. Die mediale Aufregung und die vielen Reaktionen tragen durch die Logik des Algorithmus zur Verbreitung des Postings bei. So erreichen sie damit auch Personen an den Rändern, die sich einen neuen Politikstil wünschen. Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte, US-Präsident Donald Trump und in Deutschland die AfD konnten ihren Wählern erfolgreich glaubhaft machen, dass sie das „verkommene politische System“ umkrempeln würden. Besonders über die sozialen Medien verfing diese Botschaft überdimensional. Auffällig ist dabei, dass sowohl die beiden Präsidenten als auch die AfD sehr gezielt in die ihnen wohlgesonnenen Echokammern vorgestoßen sind. Sie haben es geschafft, diese unzufriedenen Menschen da abzuholen, wo sie sich aufhielten, und an die Wahlurne zu bewegen.
Hier geht es zum ersten Teil der Trilogie
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Dieser Beitrag erschien zuerst in den Auslandsinformationen der Konrad-Adenauer-Stiftung.