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Digitalisierung Gesellschaft

Kampf der Kulturen 2.0

Die Digitalisierung hat enormen Einfluss auf unsere Gesellschaft. Sie verändert bereits unsere Demokratie. Eine Analyse in mehreren Teilen. (Teil 3)

Soziale Medien spielen in der politischen Kommunikation mittlerweile eine entscheidende Rolle. Sie haben große Teile der Gatekeeper-Funktion von den klassischen Medien übernommen. Doch mit ihrem US-amerikanische Weltbild stoßen sie zunehmend auf Widerstand aus anderen Ländern. Der Kampf der Kulturen 2.0 hat begonnen.

Donald Trump veränderte in seiner ersten Pressekonferenz als US-Präsident das bis dahin gültige Mediensystem mit einem Satz. Indem er einem unliebsamen CNN-Reporter sagte: „I’m not going to give you a question. You are fake news“, machte Trump klar, dass er auf die klassischen Medien nicht mehr angewiesen ist. Wir rufen uns in Erinnerung: Wenn ein Politiker bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts für seine Politik werben wollte, musste er zunächst Journalisten davon überzeugen. Diese gatekeeper sammelten dann im Idealfall noch andere Meinungen ein und stellten sie einander in einem Beitrag gegenüber. Dann kam Facebook. Und im Falle von Trump Twitter.

Meinungsfreiheit vs. Diffamierung

Trump kann heute direkt mit seinen Zielgruppen kommunizieren: Wählern, Spendern, anderen Politikern. Er braucht die klassischen Medien nicht mehr. Diese haben ihre gatekeeper-Funktion verloren. Es ist zwar wesentlich demokratischer, wenn ein Regierungschef ungefiltert mit seinen Bürgern kommunizieren kann – aber wie sich im Falle Trumps zeigt, qualitativ nicht unbedingt besser.

Es stellt sich die Frage, wer denn jetzt der gatekeeper ist? Denn ganz offensichtlich ist es nicht so, dass in den sozialen Netzwerken alles veröffentlicht werden darf. Da sind zunächst Gesetze, die auch die Meinungsfreiheit begrenzen. So sind persönliche Diffamierung, Gewaltandrohungen oder die Leugnung des Holocaust in Deutschland Straftaten. Spätestens seit Justizminister Heiko Maas das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz (NetzDG) in den Bundestag eingebracht hat, ist die Diskussion darüber in vollem Gange. Das NetzDG sieht im Kern empfindliche Geldbußen für Facebook und Co. vor, wenn die Netzwerke entsprechende Hass-Postings nicht binnen 24 Stunden löschen. Interessenverbände, Bürgerrechtler, Juristen und Datenschützer laufen dagegen Sturm. Die einen befürchten, dass Facebook aufgrund der horrenden Strafandrohungen zu viel löscht (Zensur). Die anderen kritisieren generell, dass ein börsennotiertes Unternehmen nun hoheitliche Aufgaben des Staates übernehme.

Das NetzDG mag wie ein Schnellschuss wirken. Allerdings müssen auch klassische Medienverlage täglich abwägen, was sie auf ihrer Website veröffentlichen und was nicht. Denn sie haben die Verantwortung dafür, was in ihren Publikationen online und offline behauptet wird. Die Verantwortlichen sind im Impressum genannt, das zumindest in Deutschland Pflicht ist. Größere Verlage – vor allem die Boulevard-Medien – beschäftigen ganze Rechtsabteilungen, die kritische Artikel prüfen.

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Deshalb ist die Frage nur berechtigt, warum ein kommerzieller Website-Betreiber wie Facebook keine Verantwortung dafür tragen soll, was auf seinem Online-Angebot veröffentlicht wird. Facebooks bedeutende Rolle bei der politischen Meinungsbildung ist unumstritten. Seine Rolle als gatekeeper auch. Denn Facebook löscht aktiv Beiträge – zumindest solche, die gegen die von der Firma selbst vorgegebenen „Gemeinschaftsstandards“ verstoßen. Und diese sind nicht immer identisch mit Gesetzen und Gepflogenheiten außerhalb der USA.

Dear Mark Zuckerberg. I think you are abusing your power, and I find it hard to believe that you have thought it through thoroughly.

So schrieb der Chefredakteur der norwegischen Tageszeitung Aftenposten, Espen Egil Hansen, in einem offenen Brief an Facebook-Chef Mark Zuckerberg: „You are the world’s most powerful editor“ und weiter „I think you are abusing your power“. Was war passiert? Grund für Hansens Verärgerung war ein Aftenposten-Artikel, der auch auf Facebook veröffentlicht wurde, und das Pulitzerpreis-gekrönte Bild des nackten „Napalm-Mädchens“ Kim Phuc aus dem Vietnamkrieg zeigte. Der Beitrag wurde von Facebook als „pornografisch“ eingestuft und gelöscht. Hansen fühlte sich in seiner „redaktionellen Verantwortung“ von Facebook eingeschränkt.

Interessanterweise hatte die BBC nur wenige Monate vorher enthüllt, dass Facebook Bilder von spärlich bekleideten Kindern in eindeutigen Gruppen wie „We love schoolgirlz“ nicht löschen wollte, weil diese nicht die Facebook-Gemeinschaftsstandards verletzen würden.

Halten wir also fest: Facebook greift bereits aktiv in Veröffentlichungen ein. Es entscheidet nach selbst gesetzten Regeln, was veröffentlicht werden darf und was nicht. Es hat sich selbst die Rolle des gatekeepers angeeignet. Zudem kontrolliert es den Algorithmus, der entscheidet, was die Nutzer zu lesen bekommen – und vor allem was nicht. Die klassische Aufgabe eines Redakteurs.

Kampf der Kulturen 2.0

Die Welt erlebt derzeit einen sehr disruptiven Technik-Fortschritt. Internet und Smartphone sind im Begriff, unsere wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die Arbeitsbedingungen und unsere Lebensumstände tiefgreifend und dauerhaft zu verändern. Nicht umsonst wird das, was gerade passiert, oft mit der Industriellen Revolution im 18./19. Jahrhundert verglichen. Diese führte dank Mechanisierung, Elektrizität und der Erfindung der Massenproduktion zu mehr relativem Wohlstand. Auf der anderen Seite nahmen aber auch soziale Missstände zu: Die Landbevölkerung schrumpfte, weil die Menschen zur Arbeit in die Städte zogen. Die Arbeitsbedingungen waren schlecht und die Arbeit oft monoton. Die Spätfolgen der Industrialisierung merken wir heute z. B. durch die globale Erwärmung.

Es bedurfte einiger gesetzlicher und kultureller Anpassungen, bis es gelang, die negativen Folgen der Industriellen Revolution abzumildern. Arbeitsgesetze wurden verändert, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Otto von Bismarck führte die Sozialgesetzgebung ein. Die Infrastruktur in den Städten wurde modernisiert. Sogar das Pariser Klimaabkommen von 2015 kann zu diesen Maßnahmen hinzugezählt werden.

Es ist deshalb unmöglich, heute schon vorauszusehen, welche Folgen die digitale Revolution noch für uns bereithält. Sicher ist aber, dass schon jetzt auf die bekannten und oben beschriebenen Veränderungen auch gesetzlich reagiert werden muss. Länder auf der ganzen Erde versuchen das – auf die ein oder andere Art und Weise.

Viele tun sich schwer, ihre bisher geltenden Standards in das digitale Zeitalter zu übersetzen. Das deutsche NetzDG ist so ein Beispiel. Auf einer Podiumsdiskussion während der Netzwerk-Recherche-Jahreskonferenz 2017 in Hamburg wurde auch deutlich warum. Dort trafen mit der deutschen Chef-Lobbyistin von Facebook und dem Staatssekretär aus dem Justizministerium die beiden Haupt-Protagonisten des NetzDG und damit zwei Welten aufeinander. Während Staatssekretär Gerd Billen vor allem fehlende Transparenz und Kooperationsbereitschaft von Seiten Facebooks bemängelte, kritisierte Lobbyistin Eva-Maria Kirschsieper die staatliche Zensur.

Überwachung und Zensur sind nicht die einzigen Gründe für den “Big Chinese Firewall” – vielmehr protegieren die Chinesen ihren rund 700 Millionen Nutzer umfassenden Internet-Markt sehr erfolgreich.

Dabei wurde der kulturelle Kampf um die Hoheit im Netz zwischen dem amerikanischen Internet-Konzern und der deutschen Regierung mehr als offensichtlich. Denn während sich die Industrielle Revolution des 18./19. Jahrhunderts im Rahmen von Nationalstaaten abspielte und auf nationaler Ebene Gesetze angepasst werden konnten, wirken die Veränderungen durch das Internet weltweit. Die Nutzungsbedingungen von Facebook entstammen einem amerikanischen Rechts- und Wertesystem. Das wird an dem Beispiel des Fotos des Napalm-Mädchens deutlich. Nacktheit ist dort stärker tabuisiert als in Europa. Nazi-Symbole sind dagegen kein Problem. Wie stellt Deutschland also sicher, dass auf der US-amerikanischen Plattform Facebook deutsche Gesetze beachtet und uns keine amerikanischen Werte übergestülpt werden?

Die Chinesen haben dafür eine einfache Antwort gefunden. Facebook, Google, Youtube und viele andere Plattformen sind in der Volksrepublik nicht erreichbar. Jedenfalls nicht ohne technische Tricks und erhebliche Geschwindigkeitseinbußen. Great Chinese Firewall wird diese Sperrsoftware in Anspielung an die Chinesische Mauer genannt. Im Gegenzug bieten chinesische Internet-Firmen Dienste an, die den westlichen teilweise sogar überlegen sind. So bietet der Smartphone-Messenger-Dienst WeChat bereits Bezahlfunktionen an, die nicht nur in ganz China das Bezahlen per Smartphone ermöglichen, sondern auch in beliebten chinesischen Reiseländern wie der Schweiz. Sie haben aber auch einen großen Nachteil für die Nutzer: Die Dienste werden komplett überwacht und zensiert.

Allerdings sind Überwachung und Zensur nicht die einzigen Gründe für den chinesischen Sonderweg. Eine wichtige Rolle spielt auch der wirtschaftliche Aspekt. Von jeder Fahrt mit einem Uber-Taxi landen etwa 30 Prozent beim Mutterkonzern in den USA. Mit der Konkurrenz Didi Chuxing bleibt dieses Geld im Land. Tencent, die Firma hinter dem Messenger-Dienst WeChat, hat 2016 über 19 Milliarden Euro Umsatz gemacht – Tendenz stark steigend. Die Chinesen protegieren ihren rund 700 Millionen Nutzer umfassenden Internet-Markt sehr erfolgreich.

China macht es vor: Sicherheit dank Open Source

Ein weiterer triftiger Grund dürfte die Sicherheitspolitik spielen. Spätestens seit den Enthüllungen des Ex-NSA-Agenten Edward Snowden ist klar: Die US-Geheimdienste nutzen die Internettechnik intensiv, um Menschen anderer Staaten auszuspionieren. Es ist zudem bekannt, dass amerikanische Software- und Internetfirmen bereitwillig mit den amerikanischen Geheimdiensten kooperieren.

Davor schottet sich China auch in ähnlichen Bereichen stark ab: 2014 gab die chinesische Regierung bekannt, dass sie etwa 200 Millionen Behörden-Rechner von Windows XP auf Kylin, eine auf chinesische Bedürfnisse angepasste Linux-Variante, umrüsten werde. Ziel sei es, sich unabhängiger von ausländischen Lieferanten zu machen. Die Umstellung auf Windows 8 wurde den Behörden untersagt. Ein Behördensprecher bestätigte, dass China ein eigenes Betriebssystem basierend auf Linux entwickeln wolle. Dass es hierbei um Cyber-Sicherheit geht, wird schon dadurch deutlich, dass das Projekt bei der chinesischen National University of Defense Technology (NUDT) angesiedelt ist. Das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnik fördert das Projekt.

Es geht um ethische, rechtliche, ökonomische und natürlich politische Fragen. Fragen, die nicht national beantwortet werden können, weil das Netz sich nicht an Grenzen hält, aber auch nicht national beantwortet werden dürfen.

Die Fragen von Datenschutz, Überwachung, Menschenrechten, nationalen Gesetzen und Cyber Security werden die Welt noch lange beschäftigen. Denn die ist mittlerweile nicht nur globalisiert, sondern auch engmaschig vernetzt. Wer sich nicht wie China vom Internet abschotten möchte (und vor allem kann), der wird Kompromisse eingehen müssen. Das gilt auch für die Europäische Union, die derzeit ihren Schwerpunkt in der Debatte auf den Datenschutz setzt. Die Verhandlungen um das EU-US-Datenschutzabkommen Privacy Shield gleichen mehr und mehr einem Tauziehen. Bei dem Abkommen handele es sich um kein statisches Instrument. „Wir werden es jedes Jahr auf den Prüfstand stellen und sollten Probleme auftreten, werden wir umgehend daran arbeiten, sie abzustellen“, sagt EU-Digitalkommissar Andrus Ansip. Persönliche Daten europäischer Bürger dürfen laut der neuen EU-Datenschutzverordnung nicht mehr ohne Weiteres auf Servern außerhalb der EU gespeichert werden. Es gibt also auch in Europa große Bemühungen, die eigenen Interessen durchzusetzen.

Aber auch das deutsche NetzDG bedarf einer Überarbeitung. Denn in seiner jetzigen Form wird es nur allzu gerne von undemokratischen Regimen als Präzedenzfall herangezogen. Dabei wird natürlich großzügig übersehen, dass in Deutschland die Löschung eines jeden Posts wiederum einklagbar ist – auf Grundlage des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Trotzdem schadet es dem Ansehen der Bunderepublik, weil es eben nicht zu Ende gedacht wurde.

Dieser Kultur-Kampf wird noch mehrere Generationen beschäftigen. Es geht um ethische, rechtliche, ökonomische und natürlich politische Fragen. Fragen, die nicht national beantwortet werden können, weil das Netz sich nicht an Grenzen hält, aber auch nicht national beantwortet werden dürfen. Sonst drohen Abschottung, Protektionismus und im schlimmsten Falle Isolationismus. Am Ende bestimmt der Mensch, ob das Internet die Demokratie stärken oder schwächen wird. Diese Verantwortung können wir nicht auf ein Stück Technologie abwälzen.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in den Auslandsinformationen der Konrad-Adenauer-Stiftung